Im Workshop Demokratie und Stadtgesellschaft ging es um den Zustand der Demokratie auf lokaler Ebene. Input-Statements gab es von OB Dr. Peter Kurz, von Prof. Dr. Marc Debus (Uni Mannheim), Felix Steinbrenner (Landeszentrale für politische Bildung aden-Württemberg) und Dr. Wolfram Freudenberg (Feudenberg Stiftung).
„Demokratie und Stadtgesellschaft“ – ein Thema, das viele Menschen in Mannheim bewegt: Ob nun diejenigen, die sich in den Bürgerbeteiligungsprozessen z.B. rund um die BUGA schlecht behandelt fühlten oder der Oberbürgermeister, der sich genau durch diese und viele andere Menschen schlecht behandelt fühlt, die beispielsweise bei jeder Gelegenheit gnadenloses Verwaltungs-Bashing betreiben. Letztlich bewegt das Thema auch diejenigen, die jetzt das gar nicht so demokratische Medium facebook etc. nutzen, um endlos Frust abzulassen.
Als ein aktuell hervorstechendes Problem der Demokratie sehen viele zu Recht die Ausbreitung des „Rechtspopulismus“. Gleich in der Eröffnungsveranstaltung zum Urban Thinkers Campus im Mannheimer Ratssaal zitiert OB Peter Kurz den US-Präsidenten, der zur Begründung für den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen und als gestandener Milliardär in seinem Anbiederungskurs an die „amerikanische Arbeiterklasse“ verkündet: „I am the Mayor of Pittsburgh“. Worauf sich der tatsächliche Bürgermeister der Bergbaustadt Pittsburgh meldet und mitteilt: „Nicht er sondern ich bin der Bürgermeister von Pittsburgh, und ich trete für das Pariser Abkommen ein!“ Er verbindet damit die Forderung nach einem geordneten Ausstiegsprozess aus der Kohle.
In der gleichen Eröffnungsveranstaltung macht die Professorin Martina Löw (Studie: „Die Seele Mannheims“) deutlich: Wir leben in Gesellschaften und nicht in Gemeinschaften wie früher die Ackerbauern. Erfolgreiche Demokratie muss somit notwendigerweise den Ausgleich bestehender Interessendifferenzen im Auge haben, nicht die Beseitigung der Differenz.
In der Input-Runde des Workshops zeichnet OB Peter Kurz ein düsteres Bild vom Zustand der Demokratie. Es gebe gegenwärtige massive Angriffe auf die Demokratie, die deren Funktionieren in Frage stellen. Für 50% der Jugendlichen gebe es nach neuesten Umfragen „bessere Herrschaftsformen als die Demokratie“. Der Ruf „Wir sind das Volk“ und die Behauptung, es gebe einen „einheitlichen Volkswillen“, der nur endlich zum Durchbruch kommen müsse und damit erst die „wahre Demokratie“ herstelle, sei das glatte Gegenteil von dem, was Demokratie ausmache. 60% der Bevölkerung gingen davon aus, es gebe diesen „Volkswillen“.
Peter Kurz erklärt sich ein weiteres Mal als überzeugten Verfechter der repräsentativen Demokratie. Die Bürgerbeteiligung sei demgegenüber keine Abkehr von der repräsentativen in Richtung direkter Demokratie, sondern eine Ergänzung. Sie trage zur Qualitätssteigerung politischer Entscheidungen bei, sie fördere bürgerschaftliches Engagement (Co-Creation), ermögliche unter Umständen eine stärkere Legitimation politischer Entscheidungen und könne die Akzeptanz erhöhen. Dies alles sei aber kein Selbstläufer, wie die tiefe Spaltung der Mannheimer Stadtgesellschaft durch den Bürgerentscheid zur BUGA 2023 beweise.
Prof. Debus meint, seit den 50er Jahren sei Demokratie nur mit Beteiligung möglich. Dazu sei ein Grundvertrauen in die Institutionen erforderlich. Die Parteiendemokratie sei besser als ihr Ruf: Die Wahlversprechen der Parteien würden in Langzeitbetrachtung (20 Jahre) durchaus zu über 50% erfüllt. Gleichzeitig reagierten Parteien auf Tendenzen in der Wählerschaft, wie das Thema der Migration anschaulich zeige. Die soziale Partizipation sei der Klebstoff der Zivilgesellschaft.
Komplexizität, Vertrauen und Akzeptanz
Vertrauen in und Akzeptanz der Institutionen – das ist ja auch das große Thema des OB. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage nach den Ursachen des Vertrauensverlustes. Es bleibt dem Vertreter einer großen Unternehmerfamilie, Wolfram Freudenberg, vorbehalten, der im Übrigen für dezentrale Entscheidungsstrukturen plädiert, wenigstens einen Grund für den Vertrauensverlust zu benennen: die mangelnde Integrität von Teilen der „Eliten“, insbesondere deren „Raffgier“. Da wir hier von einem weltweiten Prozess sprechen, bleibt freilich die Antwort offen, warum so viele der Menschen, die offenbar ihr Vertrauen in die Institutionen verloren haben, so gerne Milliardären, und darunter den schrägsten Vögeln, nachlaufen. In der Diskussion hebt die Heidelberger Professorin Christina West darauf ab, dass eine Schwierigkeit moderner Demokratie in der rasant zunehmenden Komplexität der Gesellschaft und damit auch der gesellschaftlichen Problemlösungen bestehe. Der Ausweg ins „Postfaktische“ sei daher für Viele allzu naheliegend.
Aus dieser Feststellung könnte man zumindest schließen, dass Demokratie auf breiten und tiefen gesellschaftlichen Diskurs angewiesen ist, der der Öffentlichkeit die Komplexität von Verwaltungshandeln näherbringt und der andererseits die Differenziertheit der Interessenslagen in einer entwickelten Industriegesellschaft erschließt. Nur auf dieser Basis kann die Demokratie ihre theoretische Kraft des gesellschaftlichen Interessenausgleichs entwickeln und gesellschaftliche Grundwerte diskutiert und gefestigt werden. Das Twitter-Format scheint hierfür jedoch wenig geeignet. (Lange Aufsätze wie dieser wahrscheinlich auch nicht.) Die Suche nach geeigneten Kommunikationsformen steht da vielleicht eher am Anfang.
Die Überprüfbarkeit und dann auch Akzeptanz von Verwaltungshandeln setzt eine wesentlich intensivere öffentliche Begründung voraus als dies in aller Regel der Fall ist. Dies fängt bei kleinsten Beispielen an wie: Warum wird diese Straße jetzt saniert und nicht die andere, die doch in viel schlechterem Zustand ist? Welchen Plan verfolgt die Kommune? Wie geht es weiter? Oder (besonders beliebt): Bäume in der Stadt – Nach welchen Kriterien werden sie gepflanzt, gepflegt, gefällt? Welche Interessenkollisionen gibt es z.B. zwischen grüner Stadt mit gutem Klima und Innenverdichtung mit mehr Wohnraum und weniger Flächenverbrauch? Tatsache ist, dass Kommunalverwaltungen hierfür solche Dialoge nicht genügend Ressourcen zur Verfügung haben und wahrscheinlich eben auch nicht die geeigneten Kommunikationsformen, die wirklich viel mehr Menschen erreichen als „Workshops“. Wobei selbst das in Workshops meist sehr gut vertretene Bildungsbürgertum nicht unbedingt der Hort ausgewogener Sachlichkeit ist.
Demokratie und Mythen
Aus dem Publikum meldet sich der Ex-AfD-Stadtrat Eberhard Will (Bürgerfraktion) zu Wort: Er bemängle die Zusammensetzung dieses wie so vieler Podien bei derartigen Veranstaltungen: Es sei immer nur der grün-rote mainstream vertreten. Es fehle die Position, die darauf abhebe, dass ein Volk nur dann überleben könne, wenn es sich auf sich selbst besinne, wenn es nicht zur Minderheit im eigenen Land werde. Viele Menschen fühlten sich bereits fremd.
Oberbürgermeister Peter Kurz dankt Will für diesen Aufschlag, wenn er selbst auch gänzlich andere politische Ansichten habe. Die Wortmeldung gebe Anlass, einiges klarzustellen: Ethnische Homogenität als Ziel sei ausgrenzend und habe keine Basis im geltenden Wertekanon. Sie habe Katastrophen verursacht, wie das Beispiel Jugoslawiens zeige. Man müsse die Auswirkungen solche Sichtweisen diskutieren. Lebenswirklichkeitliche Diskussionen („Ich fühle mich fremd“, „Ich gehe lieber durch Erfurt als durch Mannheim“) seien nicht politisch verhandelbar. Sie kennen keinen Kompromiss. Dies ist immerhin eine klare Ansage gegen den Rechtspopulismus. Die Frage stellt sich aber, wie man der Anziehungskraft des völkischen Mythos von einem irgendwie gearteten ethnisch reinen „deutschen Volk“ mit angeblich einheitlichem politischem Willen besser entgegentreten kann.
Eines scheint hierbei gewiss: Die Demontage dieses Mythos erfordert sehr viel mehr aufklärerische Anstrengung über die Entstehung der modernen globalisierten Industriegesellschaften und die darin wirkenden Interessenstränge. Es reicht nicht, soziale Missstände zu beschreiben, anzuprangern und mehr „Gerechtigkeit“ zu fordern. Eine demokratische Auseinandersetzung über die Missstände und ihre Überwindung erfordert den Diskurs, wie und warum es zu diesen Missständen gekommen ist. Nur so können Strategien erarbeitet werden, wie die Entwicklung in eine für die Mehrheit der Gesellschaft bessere Richtung gelenkt werden kann. Dies wäre eigentlich das Feld linker Diskussionsbeiträge und Strategievorschläge. Dem gegenüber springt die Partei DIE LINKE wohl etwas zu kurz, wenn sie den Missständen nur einige (vollkommen richtige und wichtige) soziale Forderungen entgegenstellt unter der Parole „Das muss drin sein!“. Die Stärke rechter Mythen ist in gewisser Weise der Spiegel der Schwäche linker Gesellschaftskritik. Da muss in der Tat mehr drin sein. Im Kampf gegen völkische Mythen sollte sich die linke Community allerdings auch von eigenen Mythen emanzipieren, wie sie sich gerne um Revolutions-Jubiläen ranken.
Ein wichtiger Einwurf kommt in der Workshop-Diskussion von einer Frau aus dem Publikum, die sich dem Eine-Welt-Forum zuordnete. Sie bemängelt, dass der Kolonialismus / Neokolonialismus trotz seiner die Gegenwart prägenden Bedeutung überhaupt keine Rolle in den Diskussionen spiele. Man könnte ergänzen: Wer über den (Neo)-Kolonialismus schweigt, braucht sich über völkische Mythenbildung nicht zu wundern. Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele bieten allerdings reichlich Ansatzpunkte für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Neokolonialismus, z.B. als Fluchtverursacher.
Und noch ein Einwurf kommt aus dem Publikum und führt zu einer harten Landung in den Niederungen der bevorstehenden Haushaltsberatungen der Stadt Mannheim. Die Geschäftsführerin von PLUS e.V. (Psychologische Lesben- und Schwulenberatung) kritisiert die 1-Prozent-Zuschusskürzung für ganz viele soziale Initiativen, so auch für PLUS e.V. Das zeuge nicht gerade für Nachhaltigkeit und Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt und für die Stabilisierungsarbeit solcher Initiativen. Der OB kontert: Auch die Verwaltung müsse 1 Prozent einsparen. Was nun freilich auch zu kurz gesprungen ist.
Fazit dieser (wie sicherlich auch der anderen) UTC-Veranstaltungen: Es lohnt, sich hier einzubringen. Man darf gespannt sein, wie der Leitbildprozess Mannheim 2030 im kommenden Jahr unter bürgerschaftlicher Beteiligung seine Fortsetzung findet.
Thomas Trüper