Eine Veranstaltung von Betrieb & Gewerkschaft DIE LINKE Baden-Württemberg
Es ist der Tag nach dem 1. Mai, dem zentralen Feiertag der Gewerkschaften. Der Raum im Gewerkschaftshaus ist voll, als Gökay Akbulut (MdB) die rund 50 Gäste aus den Betriebsräten, den Gewerkschaften und der Politik begrüßt.
Das Thema des Abends dreht sich um die Frage, wie wir gute Arbeit für alle schaffen können und wie ein neues Normalarbeitsverhältnis in Zeiten der Digitalisierung und zunehmender Prekarisierung aussehen muss.
Was das speziell auch für Frauen bedeutet, führt Akbulut aus. Denn gerade in Baden-Württemberg besteht dringender Handlungsbedarf, schließlich haben wir hier die größte Lohnlücke zwischen den Geschlechtern und den niedrigsten Frauenanteil im Landesparlament von allen Bundesländern. Zudem sind insbesondere
Frauen von unfreiwilliger Teilzeit, von Niedriglöhnen und damit auch von
Altersarmut betroffen.
In seinem Grußwort wirft Klaus Stein, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Mannheim, dann auch die zentrale Frage auf: Wie kann ein neues Normalarbeitsverhältnis künftig aussehen?
Er ist sich sicher, dass es klare gesetzliche Rahmenbedingungen braucht, um die Macht der Konzerne zugunsten der Beschäftigten zu brechen. Nicht fehlende Stärke der Gewerkschaften sei das Problem, sondern die legalen Möglichkeiten, mit denen die großen Unternehmen Standortverlagerungen und Massenentlassungen betreiben können. In
diesen Zeiten müssen auch die Gewerkschaften parteiisch sein und so endet Stein mit dem Ausspruch: „Ich bin froh, dass es DIE LINKE gibt!“
Anton Kobel (Gewerkschaftssekretär i.R.) fährt fort mit einem Märchen. Einem Märchen von Arbeit, wie sie noch vor 20, 30 Jahren ganz normal war: Vollzeit, befristet nur in der Probezeit, flächendeckende Tarifverträge, Betriebsräte als Standard und gut ausgebaute
soziale Sicherungssysteme. Davon ist heute nur noch wenig zu spüren. Fragmentierte Belegschaften, die kaum noch gemeinsam arbeiten sind nur einer der Gründe für den schwindenden Organisationsgrad innerhalb der Beschäftigten.
Davon kann auch Elwis Capece, Geschäftsführer von NGG Nordbaden, ein Lied singen. Gerade in der Gastronomie sind die Entgelte bescheiden und mittels „kreativer Buchführung“ werden die Beschäftigten zudem um ihre Rentenansprüche gebracht. Viele
kommen trotz Vollzeitarbeit kaum über die Runden und sind sich dabei bewusst, dass sie ohne Wenn und Aber in der Altersarmut landen werden. Capece betont deswegen die
Notwendigkeit, zuallererst die Lohnkluft zu den Niedriglöhnen zu schließen und die Durchsetzung eines deutlich höheren Mindestlohnes zu forcieren.
Bernd Riexinger, Vorsitzender DIE LINKE, kennt die Situation. Täglich erreichen ihn Berichte, was auf dem Arbeitsmarkt schief läuft. Und seine Antwort darauf? Wir brauchen ein neues Normalarbeitsverhältnis. Warum neu? Weil das alte Normalarbeitsverhältnis in der Regel für Männer galt, doch die Arbeitswelt hat sich gewandelt. Weiblicher, migrantischer und besser ausgebildet ist die heutige Arbeitswelt, und dafür braucht es eine neue Norm. Das bedeutet unter anderem einen Mindestlohn von 12 Euro und eine Stärkung und Ausweitung der Tarifbindung, indem die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen geregelt wird. Im Westen fallen gerade nochmal 51% aller Arbeitsverträge
unter einen Tarifvertrag, im Osten sind es sogar nur noch 37%. Um Tarifflucht
zu vermeiden ist es beispielsweise notwendig, dass Werkverträge unter den
Tarifvertrag des Kernbetriebs fallen. Im Vordergrund steht die gespaltene
Arbeitswelt. Während viele Menschen in unfreiwilliger Teilzeit aufstocken gehen
müssen, wurden im letzten Jahr 1,7 Mrd. Überstunden angehäuft, davon
800 Mio. unbezahlt. Das entspricht einer Million Vollzeitjobs. Während
also gerade Frauen in Mini- und Midijobs kaum ihre Mieten zahlen können,
arbeiten sich andere krank. Besonders anschaulich wird dies am Beispiel
Primark. Hier werden bei Neueröffnungen von Filialen doppelt so viele
Beschäftigte eingestellt, als benötigt. Sobald sich der Betriebsablauf normalisiert hat, werden die Leute dann einfach auf die Straße gesetzt. Gerade im Einzelhandel, in dem überwiegend Frauen beschäftigt sind, gelten „Arbeit auf Abruf“, Teilzeit und Befristungen inzwischen als reguläre Geschäftsstrategien. Riexinger plädiert deswegen auf ein Recht auf 22 Stunden Mindestarbeitszeit, schließlich „gibt das Kapital nichts so ungern her, wie die Verfügung über die Arbeitszeit“. Deswegen braucht es eine gesellschaftliche Debatte über Zeitverfügung und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Im Schnitt sei die Kluft zwischen den Löhnen im Dienstleistungssektor und in der Industrie nirgends so hoch in Europa, wie hier – nämlich rund 10.000 Euro im Jahr.
Höchste Zeit also, dass sich etwas tut. Dafür braucht es neben verschiedenen Maßnahmen wie einer Antistressverordnung vor allem auch eine demokratische Offensive von unten. Schließlich leiden alle Beschäftigten unter dem zunehmenden Druck und unter den Überstunden. Die Verantwortung damit umzugehen aber, die wird individualisiert. Dem müssen wir eine Perspektive entgegen stellen, eine neue Solidarität
„Wir brauchen endlich wieder ein gesellschaftliches Projekt!“, ist sich Riexinger sicher. Denn nur so können die verschiedenen Kämpfe von Gewerkschaften, Beschäftigten, Sozialverbänden und politischen Akteuren für bessere Arbeitsbedingungen, Umverteilung
und eine soziale und demokratische Erneuerungsbewegung verbunden werden. Es braucht eine konkrete Vision, die machbar ist und uns in die Zukunft leitet!