Turbulenzen in der Mieterpartei Mannheim

Unter dem neuen Absender „Mieterinitiative Mannheim“ veröffentlichte Karlheinz Paskuda auf facebook am 24. Juli eine Presseerklärung, in der er seinen Austritt aus der Mieterpartei bekanntgibt. Deren Mannheimer Ortsgruppe hatte er Ende Februar 2018 zusammen mit Ulrike Schaller-Scholz-Koenen (Steckenpferd e.V.) und unter Assistenz der Frankfurter Parteisektion gegründet. Gleichzeitig verließ er damals endgültig die Partei DIE LINKE, in der er die Mitarbeit schon seit 2014 eingestellt hatte.

Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:

Inwiefern die Kritik von Paskuda an der Mieterpartei berechtigt ist, ist von außen schwer zu beurteilen. Kenner der Szene erwarteten aber von vornherein, dass es um die Aufstellung der Kandidat*innenliste zur Kommunalwahl herum schweren Streit um Platz eins geben werde.

DIE LINKE  kommentierte Paskudas Austritt aus der LINKEN im Februar diesen Jahres u.a. folgendermaßen:
„Paskuda, der (…) schon lange nicht mehr im Kreisverband Mannheim der LINKEN aktiv war, und dies am 29.07.2014 auch öffentlich angekündigt hatte, erwies sich schon lange als unfähig zu Teamarbeit und Diskursen über strittige Themen. Wo er sich persönlich nicht durchsetzen kann, zieht er sich zurück und wartet kurze Zeit später mit „spektakulären“ Neugründungen oder Eintritten auf. Hiervon können diverse Mannheimer Initiativen und Organisationen ein Lied singen. Schon viele haben ernüchtert zur Kenntnis nehmen müssen, dass eine Handlungsmaxime der Förderung des persönlichen Ego untergeordnet zu sein scheint.“

Man fühlt sich im Übrigen erinnert an Stadtrat und „Rapper“ Julien Ferrat, dem die LINKE vor seiner Wahl in den Gemeinderat das Vertrauen entzogen hatte (eine Entfernung aus der Liste war terminlich nicht mehr möglich), der dann in Mannheim die Familienpartei (ebenfalls mit Europa-Parlaments-Hoffnungen) gründete, vom Landesverband dieser Partei jedoch nicht anerkannt und jüngst aus dem von ihm gegründeten Ortsverband ausgeschlossen wurde. Er hat nun flugs eine sog. „Mannheimer Volkspartei“ als Wahlvehikel für die Kommunalwahl 2019 kreiert. Die Reform des baden-württembergischen Kommunalwahlgesetzes vor der Wahl 2014 beflügelt solche ad hoc-Gründungen, da jetzt bereits 1% der Stimmen für ein Mandat ausreicht, welches eigentlich bei 48 Sitzen proportional etwas über 2%  benötigen würde.

Auf Seiten der CDU gibt es ein ähnliches Phänomen in Gestalt des Stadtrates Taubert, der in der CDU nicht zum Zuge kam, darauf für die letzte Kommunalwahl „Mittelstand für Mannheim“ (MfM) gründete und mit knapp über 1% in den Gemeinderat einzog. Nach ca. der Hälfte der Wahlperiode schloss er sich der Fraktion Freie Wähler /Mannheimer Liste an, von der er sich mit Blick auf die kommende Kommunalwahl wieder trennte und mit dem Einzelstadtrat Lambert (einst AfD) nun die Gruppierung MfM betreibt.

Armutsbekämpfung – ein städtisches Ziel. Aber wie?

Überlegungen zu den Haushaltsberatungen
Man sollte es nicht glauben, aber Armutsbekämpfung spielt in der Haushaltsrede
des Oberbürgermeisters durchaus eine Rolle. Sie findet sich unter den sieben
definierten Schwerpunkten (priorisierte Handlungsfelder) der nächsten zwei
Jahre, als da wären:

Die von uns priorisierten Handlungsfelder sind:

1. Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum steigern
2. Demokratie stärken
3. Bekämpfung von Armut und Armutsrisiken
4. Schaffung von attraktivem Wohnraum
5. Ausbau des Umweltverbunds
6. Mannheim als Innovations- und Gründerstadt stärken
7. Digitalisierung

Die Punkte 3 und 4 passen gut zusammen. Punkt 4 ist hinterlegt mit dem hier schön  häufiger besprochenen 12-Punkte-Programm zum preisgünstigen Wohnen.
Wie aber sieht es mit Punkt 3 aus?
Der OB stellt zunächst vollkommen richtig fest: „Für Städte wie Mannheim ist
Ausgrenzung durch Armut und/oder ihre Folgen eine der bedeutendsten
Herausforderungen, die Alltagserfahrung und Zukunft der Stadt mit entscheiden.
Die Entwicklungen hängen hier entscheidend von bundespolitischem Handeln
oder Nicht-Handeln und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Kommunale
Strategien haben einen eher langfristigen Charakter.“ (S. 25)

Im Vorbericht zum Doppelhaushalt findet sich das Handlungsfeld 3 in
eingedampfter Weise:
„Bildungs- und Teilhabemaßnahmen sind allen Kindern zugänglich. Insbesondere
schwierige finanzielle und soziale Rahmenbedingungen stellen kein Hindernis dar.
Mannheim verbessert die Sozialstruktur und nähert sich dem Durchschnitt in
Baden-Württemberg an.“ (Diese Feststellungen sind wohlgemerkt keine
Zustandsbeschreibungen sondern entsprechen der Form, in der alle städtischen
Leistungs- und Wirkungsziele festgeschrieben werden).
„Ziele:
  •  Armutsbekämpfung durch Erhöhung der Betreuungsquote in den Sozialräumen 4 und 5.
  • Armutsbekämpfung in der Neckarstadt West und der Hochstätt.“(Doppelhaushalt 2018/19, Vorbericht, Seite V 24).
Es geht also zunächst einmal um Forcierung der Bildungsgerechtigkeit, um Armut
in Folge von Bildungsarmut zu bekämpfen. Ein Hebel soll die Sicherstellung der
Tagesbetreuung für Kinder bis Schuleintritt sein, sowie ein Entwicklungsplan
Bildung und Integration. 21 neue Krippen- und 27,5 Kindergartengruppen sind
geplant.
Was aber ist mit all den Menschen, die hier und heute in Armut, Bildungsarmut,
oft mit gesundheitlichen Problemen leben, die durch Handicaps benachteiligt
sind, die trotz Erwerbstätigkeit in Armut leben, die weder an Kultur, Sport,
Bildung, politischer Gestaltung teilhaben können? Die auf ihren Kietz beschränkt
leben müssen, weil sie auch mobilitätsarm sind? Gute 10% der Mannheimer
Bevölkerung leben von Mindestsicherungsmaßnahmen nach den diversen
Sozialgesetzbüchern. Weitere 10% dürften einkommensmäßig knapp darüber
liegen und sind ebenso von Armut betroffen.
Hier ruft der OB vollkommen berechtigt zunächst nach Erhöhung der
Eingliederungsmittel für Langzeitarbeitslose, unter denen sich zunehmend
Zuwander*innen aus Südosteuropa und anerkannte Geflüchtete finden.
Sprachbildung und Qualifizierung sollen gefördert werden.
Ein altes Thema ist die notorische Zufriedenheit über die angebliche
Jugendarbeitslosigkeitsquote von unter 1 Prozent. Die ist bekanntlich durch
ziemlich nutzlose Maßnahmen-Schleifen statistisch geschönt. Jedoch zeichnet
sich hier ein Weg in die richtige Richtung ab mit der Installation einer
„Mannheimer Jugendberufsallianz“. Schon immer hatte DIE LINKE gefordert,
jungen Menschen aus Transferbezugshaushalten ohne Ausbildungs- oder
Arbeitsplatz nicht sofort nach ihrer Arbeitslosmeldung in „Maßnahmen“ zu
zwängen, sondern ihnen ganz normal, wie anderen Erwerbslosen auch eine
qualifizierte Berufsausbildung zu vermitteln und sie ggf. beim Übergang in das
Berufsleben zu coachen. Dies soll jetzt durch ein System von
„Ausbildungshelfern“ geschehen.
Neu ist auch, dass die Verwaltung ankündigt, sich intensiver als bisher mit der
Tatsache auseinanderzusetzen, dass selbst unter den gegenwärtig
vergleichsweise guten Arbeitsmarktbedingungen die Zahl der
Langzeitarbeitslosen hartnäckig stabil bleibt. Ferner gerät inzwischen auch die
Tatsache in den Fokus, dass 27% der ALG-II-Bezieher*innen sog. „Aufstocker“
sind, also Personen, die erwerbstätig sind, deren Einkommen aber unter der
Armutsgrenze liegt. Hier will man nun die Schaffung eines „
Servicebetrieb ‚Städtische Dienstleistungen‘“ prüfen.
„Diese aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt und eine [offensichtlich für die Verwaltung; Anm. Verf.] neue gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise, die neben personalwirtschaftlichen auch gesellschaftspolitische Aspekte umfasst, geben Anlass, die seit vielen Jahren bestehende Auslagerung von Dienstleistungen im Konzern Stadt Mannheim neu zu überdenken.“ Man prüft nun also. „für die Bereiche Reinigung,
Bewachung/Sicherheit/Aufsicht und Catering/Verpflegung, ob durch einen
zentralen Servicebetrieb ein wirtschaftlicher und sozialer Nutzen erzielbar ist. Es
geht vorrangig darum, in geringer qualifizierten Tätigkeiten reguläre Arbeitsplätze
einzurichten, die ‚Aufstockung‘ durch SGB II zu vermeiden, wenn sich dies unter
Berücksichtigung einer gesamtstädtischen Betrachtung als vorteilhaft erweist.“
Mannheimer Priorisierungssystem teilweise kontraproduktiv
Weniger hoffnungsvoll stimmt das „Mannhemer Priorisierungssystem“ zur
Bewertung von „Verwaltungs-Produkten“ nach ihrer Wirkung, um durch
Schwerpunktsetzung den als weniger wichtig eingestuften „Produkten“
Ressourcen zu entziehen und diese für eine in der Tat dringende
Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Investitionskraft der Stadt Mannheim zu
verwenden. Neben vielen absolut sinnvollen Verbesserungen von
Verfahrensabläufen der Verwaltung km Sinne einer Rationalisierung enthält das
System auch eine Bewertung der sog. „Leistungen an Dritte“. Hier finden sich alle
Zahlungen, die aus dem kommunalen Kernhaushalt z.B. an städtische
Eigenbetriebe und Gesellschaften fließen, an Wohlfahrtsverbände, Kirchen als
Kita-Träger, an Institutionen und Vereine und Initiativen der Zivilgesellschaft. In
Summe geht es hier um ca. 160 Mio. Euro pro Jahr. Die größten Fische dabei sind
das Nationaltheater und die Museen sowie die freien Kita-Träger mit zusammen
ca. 100 Mio. Euro. Prinzipiell sollen alle von den größten bis zu kleinsten
Institutionen 1% abgeben. Ausgenommen sind jedoch die Sportförderung
(Vereine), vertraglich vereinbarte Projekte und faktisch auch
Bildungseinrichtungen im weitesten Sinn.

Aber dann gibt es ja auch die Frauenhäuser, den Mädchentreff des
Stadtjugendrings, den Sozialpsychiatrischen Dienst, den Verband der
Gartenfreunde, um nur einige wenige zu nennen, die tatsächlich um 1% gekürzt
werden sollen. So soll dann der Obstbauverein Wallstadt statt 250 künftig nur 247
Euro erhalten! Bei der heutigen machten LINKE, Grüne und auch SPD deutlich,
dass sie da nicht mitgehen werden. Viele der Zuschussempfänger müssten
eigentlich mehr bekommen, weil sie z.T. seit 10 Jahren nie eine Erhöhung
bekommen haben, oft aber Personal beschäftigen. Insgesamt sollen die
Einsparungen 89 in 2018 und 143 TEUR ergeben.
Die ganz unterschiedlichen aber zahlreichen Zuschussempfänger leisten jedoch
wichtige Beiträge dazu, dass die Stadtgesellschaft nicht noch weiter spreizt, und
dass auf vielfältige Weise gerade auch die von Armut betroffenen Menschen
Ankerpunkte finden, wo Hilfe organisiert, Isolation überwunden und kulturelle
Teilhabe gefunden werden. Immerhin hat der OB in der Vordiskussion im
Hauptausschuss am Dienstag signalisiert, dass – wenn es kontraproduktiv wäre –
Änderungen möglich wären.
Wenn Armutsbekämpfung Priorität haben soll …
… dann müssen nicht nur falsche Einsparmaßnahmen unterlassen werden,
sondern Leistungsdefizite müssen abgebaut werden. DIE LINKE sieht hier z.B.
folgende Notwendigkeiten:

Sozialpass: Vergünstigungen für die kulturelle und sportliche Teilhabe müssen
deutlich verbessert werden, um der Armut die isolierende Wirkung zu nehmen.
Sozialticket: Die Mittel müssen mindestens verdoppelt werden (von 500.000 auf
1. Mio. Euro), um wenigstens den Einstieg in das Monats-Sozialticket zu schaffen.
DIE LINKE wird hierzu einen Vorschlag unterbreiten, der für die ca. 5.000
„Aufstocker*innen“ als definiertem Kollektiv des JobCenters das Jobticket
ermöglicht. Denn es ist vollkommen unerträglich, dass Menschen, die einer Arbeit
nachgehen und deren Einkommen gegen die Grundsicherung aufgerechnet wird,
auch noch den Weg zur Arbeit teuer bezahlen sollen.
Am besten sollten dann Sozialpass und Ticket zu einer diskriminierungsfreien
Mannheim-Card verbunden werden.
Wenn hier Fortschritte erzielt werden, stärkt das übrigens auch mit Sicherheit die
Demokratie (strategisches Handlungsfeld 2 – siehe oben).
Thomas Trüper, Stadtrat DIE LINKE