Mannheim und seine Marokkanischen Straßenkinder

Das Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg könnte auch mal als Erkenntnisquelle genutzt werden – Oder: Wie gut war der Lateinunterricht?

„Brandbrief“ des OB von Mannheim, Peter Kurz (SPD) im Oktober 2017 an den CDU-Innenmister Strobl 2017 mit dem Tenor: „Wir sind mit unserem Latein am Ende“: Die Stadt Mannheim sehe sich vollkommen überfordert durch eine variierende Gruppe von 10 bis 15 jungen Marokkanern im Kindes- und Jugendalter, die als unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) in der Obhut des Jugendamtes Mannheim sind. Sie seien an Integration überhaupt nicht interessiert und brächten durch ihre Kriminalität, vorzugsweise das Klauen von Gepäckstücken aus Fahrradkörben (über 600 mal in 2017) die 230 übrigen UMA in Mannheim in eine schwierige Lage und die Stadtverwaltung in den Ruch des Staatsversagens. Letzteres will der OB nicht auf sich sitzen lassen, da er den Rechtspopulisten keine Angriffsfläche bieten möchte. Ein nobles Motiv. Fraglich nur, wohin diese aufgeregte Diskussion inzwischen führt.

Wenn im Wochenblatt der sich als Satiriker betätigende Prof. Hans-Peter Schwöbel
(30 Jahre lang Professor für Soziologie an der an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundeswehrverwaltung, Ebert-Stipendiat, zahlreiche Arbeitsaufenthalte in Afrika) in einer Kolumne zu „den Marokkanern“ empfiehlt: „Deutsch reden!“ – dann ist das Thema endgültig reaktionär instrumentalisiert. Satire geht anders. Siehe hierzu im Folgenden die Stellungnahme von  der Initiative „save me“.

In dem Briefwechsel zwischen OB und Minister geht es um die Erschließung von Möglichkeiten, geschlossene Sondereinrichtungen für die kleine marokkanische Gruppe zu schaffen. Denn eigentlich ist die Jugendhilfe nach SGB VIII zuständig, pädagogische Prinzipien haben selbst beim Wegsperren zu obwalten, und Jugendstrafrecht greift selbst bei erreichter Strafmündigkeit wegen dem nach StGB geringfügigen Kriminalitäts-Level nicht. Der Minister hebt in seinen Äußerungen immer wieder auf die seiner Meinung nach entscheidende Frage der Altersüberprüfung ab. Warum? Weil es dann vielleicht möglich ist, 2 oder 3 dem Jugendstrafrecht (über 14) zuzuführen oder Einzelne vielleicht abzuschieben (über 18 – sicheres Herkunftsland). Er bietet keinerlei wirkliche Lösungsansätze.

Warum sind die Jugendlichen so schwierig zu „integrieren“? Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich um Menschen, die schon Marokko (und teilweise wohl auch Algerien) als Straßenkinder lebten und die – es mag die „Elite“ dieser Straßenkinder sein – den Weg durch den Grenzzaun über die spanische Exklave Ceuta nach Deutschland geschafft haben. Sie seien – so hört man aus mit der Betreuung dieser jungen Menschen befassten Kreisen – durch Erwachsene kaum oder erst nach Tagen ansprechbar (nicht nur wegen Sprachproblemen), hätten keinerlei Unrechtsbewusstsein bezüglich ihrer Diebereien und betrachten Bargeld als Existenzvoraussetzung. Sie seien gut vernetzt und außerordentlich mobil. Ihre Unterbringungen in einem Heim eines Freien Träges (Schiffer-Kinderheim Seckenheim) ist inkompatibel zum normalen geregelten Heimbetrieb. Inzwischen sind sie auf Benjamin Franklin untergebracht. – Zum Thema „Straßenkinder aus Marokko“ dokumentieren im Folgenden einige Informationen über einen bemerkenswerten Film und über ein Hilfsprojekt für Straßenkinder in Casablanca. Von beidem kann man einiges lernen – wenn auch kein „Latein“.

Wie man nun mit diesen Kindern / Jugendlichen umzugehen habe – dafür gibt es sicher keinen fertig ausgearbeiteten Königsweg und der Autor dieser Zeilen hütet sich, schlaue Sprüche hierzu abzusondern. Aber einige Feststellungen seien doch gestattet und zur Diskussion gestellt:

  1. Das Problem unterscheidet sich nur graduell von der Problematik der „Systembrecher“ – schwer kriminellen Jugendlichen, die immer wieder mal auftauchen und deren Betreuung bzw. Resozialisierung in der Regel möglich ist, aber besonderen und personalintensiven pädagogischen Aufwand erfordern – ein Problem der Ressourcen also.
  2. Eine adäquate Betreuung bedarf sicherlich besonderer pädagogischer und sozialpädagogischer Methoden einschließlich Implementierung klarer Rahmenbedingungen. Eine solche Methodenentwicklung bedarf eines breiten Informationsaustauschs und fachlichen Diskussionsaufwandes innerhalb der Betreuer*innen-Gruppe und zwischen diesen und allen Vorgesetzten-Ebenen. Die Bedingungen der Methodenentwicklung sind sicherlich stark verbesserungsbedürftig.
  3. Ein wesentlicher Input für die fachliche Diskussion kann mit Sicherheit auch im Dialog mit Fachkräften des Herkunftslandes gefunden werden.
  4. Die Diskussion muss im Bewusstsein geführt werden, dass die Präsenz afrikanischer Straßenkinder in den europäischen Metropolen eine Begleiterscheinung der globalisierten und postkolonialen und sozial immer weiter auseinanderklaffenden Welt ist, zu deren Gewinnern Länder wie die BRD gehören. Sie trägt Mitverantwortung für die Verlierer. Weltweit rechnet man mit 100 Mio. Straßenkindern (lt. wikipedia). 30.000 davon sollen in Marokko leben, in Deutschland (außer Geflüchteten) 6.000 bis 7.000.

Thomas Trüper ( Stadtrat DIE LINKE)

Lesenswertes zur schwierigen Thematik

Leserbrief von „save me“ an das Mannheimer Wochenblatt

Film: „Ali Zaoua“ (Die Straßenkinder von Casablanca)

Hilfsorganisation Bayti im Kampf gegen die Ausgrenzung von Straßenkindern